Drehbuch: Mike Carey, Mike Carey
Schauspieler*innen: Sennia Nanua, Gemma Arterton, Paddy Considine, Glenn Close
Kinostart D: (FSK 16)
Kinostart US:
Originaltitel: The Girl with All the Gifts
Laufzeit: 1:52 Stunden
Filmkritik zu The Girl with All the Gifts
Die meisten Zombiefilme folgen einem recht klaren Verlauf, der so plump wie für Teile der Bevölkerung unterhaltsam ist: Ein Virus ist kurz vorm Ausbrechen oder ist bereits ausgebrochen, eine kleine Gruppe von Menschen versucht sich im Überleben. Am Ende kann man nicht mehr unterscheiden, ob die Zombies noch zischen und fauchen oder ob es bereits die durchschossenen, zerschroteten, explodierten und siffenden Zombieköpfe sind, deren Halsschlagader sich mit kräftig Druck entleert.
Da ist es eine willkommene Abwechslung, wenn ein Film zwar mit Zombies arbeitet, aber die Auseinandersetzung mit diesen eher zum Nebenschauplatz gerät. Im Mittelpunkt steht die junge Melanie, die als Versuchsobjekt in einer Forschungsanstalt eingesperrt ist. Sie ist auch ein Zombie, lechzt nach Blut, trägt aber eine Abart des Gens in sich, das sie und andere Kinder intelligent macht: Sie ist sich ihrer Situation bewusst.
Als die Forschungsanstalt von den klassischen Zombies überrannt wird, flüchten wenige Wissenschaftler, Soldaten und Melanie. Einerseits geht es darum, dass die Forscher und Soldaten Unterschlupf finden. Andererseits haben sie Melanie bei sich, die sich zwar kooperativ und pfiffig zeigt, in der aber weiterhin das Serum für die Menschheit schlummert. Und ein Zombie.
Es ist überaus erfrischend, dass der Film nicht den klassischen Splatter in den Vordergrund stellt, obwohl dieser auch nicht kategorisch ausgeblendet wird: Kopfschüsse, Blutfahnen und zerfledderte Menschen kriegt man dennoch genug zu sehen. Die Spannung generiert der Film aber aus dem Umfeld rund um Melanie: Immer wieder überkommt sie ihr Instinkt, den sie nur schwer zu kontrollieren weiß – und doch ist sie so wertvoll für die Menschheit. Der eine Teil sieht sie als medizinisches Objekt, dessen Unversehrheit der Menschheit zuliebe zu gewährleisten ist. Der andere Teil sieht den Menschen, das junge Mädchen mit Intelligenz und Seele.
Sennia Nanua hat in The Girl with all the Gifts ihr Filmdebüt, spielt dazu noch die Hauptrolle. Und sie trägt maßgeblich zum Film bei. Ihre Zukommenheit, ihre Intelligenz und Scharfsinn, aber auch ihre Selbstreflektion machen sie von der ersten Minute an symapthisch. Der Zuschauer ist also stets im selben Spannungsfeld, in dem sich die Überlebenden befinden: Ist sie Mensch oder Monster? Objekt oder Seele? Heil oder Verderben?
Zugleich tut sich der Film selbst gut, nicht die klassischen Zombiemotive zu verfolgen: Keine noch so klassische Szene hat den klassischen Ausgang. So bleibt die Spannung stets aufrecht und die lästernden Zuschauer verstummen schnell wieder.
Doch die letzen 15 Minuten führen den Film zu einer Erzählwende, zu einer Spitze, zu einem Ende, das so bedrückend und zugleich entspannend wie kaum ein anderer Genrefilm inszenieren kann. Es ist der Schlag in die Magenkuhle und zugleich ein interessanter Ansatz zur Auseinandersetzung und Diskussion. Der Film wirkt nach.
Doch nicht nur das unmittelbar Sichtbare überzeugt: Die Kameraarbeit bedarf eines besonderen Lobs. Es wird mit Schatten sowie Hell-Dunkel-Kontrasten gearbeitet. Die Kamera zeigt Klassisches des Genres, ohne dem Splatter eine zu große Plattform zu bieten. Es wird sinnvoll mit Tiefenschärfe gearbeitet, die Zeitlupe wird zum Stilmittel. Auch der Ansatz, die menschenverlassene Umwelt nicht trocken, zerstört, dystopisch darzustellen, sondern im Gegenteil natürlich, grün, lebendig zu inszenieren, fällt nicht unmittelbar auf, generiert aber eine besondere Stimmung in der Welt voller Tod, Überleben, Zombies.
Abschließend trägt der verstörende Soundtrack maßgeblich zum Erlebnis bei. Kenner von Arrival werden die sphärischen Melodien mit oberflächlich dissonanten Tönen kennen. Der Soundtrack verliert deswegen nicht seine Wirkung: Wenn sich Unsicherheit und Beklemmung im Soundtrack zur Szene passend widerspiegelt, hat dieser seinen Zweck mehr als erfüllt.
The Girl With All The Gifts nutzt das Zombie-Genre, ohne sich deren Stilmittel im klassischen Sinne zu bedienen. Eher dient der Rahmen einer Zombieapokalypse für ein interessantes soziales Gefüge, in dem der Wolf im Schafpelz in der eigenen Herde bekannt und toleriert wird, jederzeit freundlich auftritt, aber dennoch stets das Wilde in sich trägt. Dass der Wolf zeitweise mal ein Schaf – oder genauer: eine Katze – reißen muss, hält die Spannung aufrecht, bis es zu einem unerwarteten Ende kommt.
Ein Film, dem man aufgrund von Story und Inszenierung nur den Weg in das Regal der „Filmdiamanten“ wünschen kann.