Ins Kino gehen ist natürlich ein Gemeinschafts-Event. Man ist nicht allein im Saal, sondern teilt sich den Saal mit, je nach dem, bis zu 800 Personen. Womöglich gibt es auch noch größere Säle. Dass es hier und da immer wieder mal kleine Störungen gibt, liegt auf der Hand.
Es wäre rein sozial gesehen ziemlich uncool, wären alle gleichgeschaltet und würden stur, steif und stumm auf ihren Plätzen sitzen. Wobei: Warum eigentlich nicht? Ich kenne so manchen, der das Kino zwischenzeitlich meidet, weil ihm das „Getöse“ drumherum annervt. Anders herum würden so manche Filme an Wert verlieren, wenn man nicht gemeinsam lacht, mitfiebert oder im Chor vor Schreck aufschreit. Ein abgefahrener Streifen wie „Hangover“ macht allein vielleicht auch Spaß, aber erst in der Gruppe kann man den Film richtig abfeiern.
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 01. Februar 2012. Er hat aber kein bisschen an seiner Wahrheit eingebüßt. Deswegen wurde er leicht überarbeitet und neu veröffentlicht.
Prinzipiensache
Doch um solche oder andere kleinere „Störungen“ geht es mir gar nicht.
Es scheint sich jedoch insbesondere in den letzten Jahren zu etablieren, dass der Filmbeginn nicht als Hinweis für die eigene Stille interpretiert wird. So wird noch fleissig weitergeplappert, während der Vorspann läuft, vielleicht keine Dialoge laufen, aber die Hauptcharaktere so oder so eingeführt werden. In manchem Film sorgt allein schon die Eingangsmusik für das Schaffen einer emotionalen Stimmung, die man für den Film braucht.
Aber nein, man muss ja erst einmal weiterquatschen, sei es von der Arbeit, vom blöden Autofahrer oder den neusten Sexerlebnissen mit der Ische des Nachbarn. Erst, wenn die ersten Dialoge beginnen, senkt man die Stimme – was noch lange nicht heisst, einfach mal den Film zu schauen, wofür „Normalo“ knapp nen 10er bezahlt hat. Es hat ja auch nicht ausreichend Gelegenheit zum Quatschen vorher gegeben: Das Foyer, die Werbung, ja selbst bei den Trailern bin ich noch freundlich – aber beim Hauptfilm muss ab der ersten Sekunde die Klappe gehalten werden!
Gewisse Spezialisten schaffen es noch, ihre perfide Nervigkeit zu perfektionieren: Sie kommen erst zum Vorspann überhaupt in die Kinos, haben aber den selben Kommunikationsbedarf wie diejenigen, die in die Kinos kamen, bevor überhaupt das Licht gedimmt wurde und die Werbung begann. Ermahnt man jene Leute, wird man bescheuert angeschaut und zieht sich die Missgunst auf sich – keine guten Voraussetzungen für ein gemeinsames Erlebnis auf Zeit.
Stille – egal, wann!
Ist es denn so schwierig, beim Hauptfilm einfach mal die Klappe zu halten? Und damit meine ich auch während des gesamten Hauptfilms. Es ist ein weit verbreiteter Missglaube, dass Instrumentalszenen im Hauptfilm die offizielle Legalisierung für Verbalkommunikation ist: Da stirbt eine Schlüsselfigur, der Protagonist ist am Boden zerstört, die Folgeszenen zeigen diesen, entsprechened musikalisch unterlegt, in seinem nun tristen Alltag. Und als Bonus: Plappernde Menschen von hinten.
Stimmung ade!
Und ich spreche hier nun nicht von irgendwelchen Schwachmaten, deren Intelligenzzentrum größenteils mit eiterartigen Absonderungen von Aggro Berlin gefüttert wurde. Nein, das zieht sich durch alle Schichten: Ich spreche hier auch von erwachsenen Männern, denen man zumindest vom Autreten her eine gewisse Sozialkompetenz zuschreiben würde.
Bestes Beispiel ist da mein Erlebnis zu The Artist : Ein Stummfilm, der gern mit seinem Genre spielt und so manche Szenen absolut stumm darstellt. Doch das hindert eine kleine Männergruppe, Brille, Zeitung unter dem Arm, Hut, langer Mantel, Cordhose und WiWo lesend, nicht daran, die Szenen entweder zu kommentieren oder, noch schlimmer, zu synchronisieren! Da sitzt man im Sessel, gibt sich dem Genre des Stummfilms hin und vor einem legt der Zuschauer den Figuren Worte in den Mund.
Verzweiflung
Sagt mal, in was für einer Filmwelt leben wir denn?
Es vergeht kein Film, und damit meine ich wirklich kein Film, in dem mir eine Gruppe von Menschen nicht negativ auffällt. Und dabei möchte ich von mir behaupten, dass meine Toleranzschwelle durchaus hoch ist. Ist es denn zu viel verlangt, dass auch eine größere Ansammlung von Menschen während des Hauptevents einfach mal die Klappe hält? Ist es zu viel verlangt, dass man tatsächlich einen Film sehen möchte, ohne dass man andere Personen ermahnen muss?
Ist das unsere Kino-Gesellschaft, die es nicht einmal schafft, 90 oder auch 120 Minuten einfach mal nicht zu sabbeln? Haben die Menschen tatsächlich eine derart geringe Aufmerksamkeitsspanne? Man könnte ja auch vom „Transformatismus“ sprechen: Wenn es nicht spektakulär inszeniert ist, ständig rummst und bummst und einem die Roboter um die Ohren fliegen, dann verliert es schnell an Reiz!
Manchmal fühle ich mich als Teil einer kleinen Splittergruppe anstelle eines normalen Kinobesuchers. Und dabei dachte ich, sollte es anders herum sein.