Drehbuch: Michel Hazanavicius
Schauspieler*innen: Jean Dujardin, Bérénice Bejo, John Goodman, James Cromwell
Kinostart D: (FSK 6)
Kinostart US:
Originaltitel: The Artist
Laufzeit: 1:40 Stunden
Filmkritik zu The Artist
Ein Stummfilm, der nach ganz klassischem Schema umgesetzt wurde – kann das heutzutage überhaupt noch funktionieren? Aber ja!
Zu einem Film gehört mehr als nur Dialoge: Musik, Inszenierung, Schauspielkunst. Und all das spielt in „The Artist“ auf einem hohe Niveau. Was anfänglich noch befremdlich wirkt, verläuft im Fluss von Bild und Musik dergestalt, dass man ab einem bestimmten Zeitpunkt die Dialoge gar nicht vermisst.
Stattdessen kann man sich schon allein der musikalischen Untermalung hingeben, oben drauf kommt noch ein guter Cast.
Jean Dujardin spielt den charmeurhaften George so gut, dass man seinem verschmitzten Lächeln selbst als Mann gewissermaßen erliegt. Getoppt wird das nur durch die durch und durch sympathische, weil leicht flippige Peppi Miller: Es macht einfach Spaß, dem Film zu folgen.
Man muss sich jedoch klar machen, was „The Artist“ ist: Ein Film, der fast konsequent die Stummfilmära in die Jetztzeit überträgt. Die Kostüme sind wie in den Zwanzigern, die Szenerie ist wie in den Zwanzigern, Musik und Stummfilm-Feeling wurden perfekt übernommen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der Film tatsächlich eine Perle: Die Kunst des Stummfilms scheint nicht verloren. Dennoch: „The Artist“ brilliert weder durch eine besonders überraschende oder tiefgreifende Story noch durch auffällig besonderes Szenenbild. Man muss hier auch klar trennen: Es ist eine erwähnenswerte Kunst, heutzutage die 20er wieder so konsequent aufleben zu lassen, jedoch fehlt Innovation. Man hat ein verloren geglaubtes Filmkonzept wieder belebt, so wie man es nicht hätte besser machen können. Aber mehr auch nicht.
Zudem war zeitweise auch die Bild-Musik-Komposition nicht wirklich passend (zum Glück nur selten), da häufig ein Stück länger ununterbrochen gespielt wurde und somit nicht zwangsläufig mit der aktuellen emotionalen Lage des Bilds übereinstimmten.
Wenige Szenen überraschen jedoch, hier seien der Traum von George und die Schlussszene erwähnt. Ein sehr schöner Kontrast, der vielleicht in einem Stummfilm ungewöhlich erscheint, aber passend eingebunden wurde. Finde ich eine gute Idee, unerwartet pointiert gesetzt und genau deswegen so wirksam.
In der Summe steht fest, dass der Stummfilm bei Weitem nicht tot ist, vielleicht sogar als ein schönes -heutzutage bewusstes- Stilmittel eingesetzt werden kann. Wie so etwas aussehen kann, beweist „The Artist“ schon sehr gut, bei dem trotz hoher Messlatte noch Luft nach oben ist.
Da sitze ich im Kino – und sehe einen Stummfilm! Sachen gibt’s. Und das Beste: Ich bin von Beginn an absolut fasziniert von dem sprachlosen Kunstwerk in Schwarz-Weiß. Gleich zu Beginn nutzt Regisseur Michel Hazanavicius einen gelungenen Kniff: Er zeigt seinem Publikum das Kinopublikum der 20er Jahre. In ihren schönsten Kleidern und Anzügen sitzen die feinen Herrschaften im Saal und starren gebannt auf die Leinwand. Schnell wird einem klar, dass zu jener Zeit das Kino einen ganz besonderen Stellenwert hatte und mit dem Kinoerlebnis heutiger Zeit nicht zu vergleichen ist. Schon in den Pioniertagen hatten die bewegten Bilder auf der Leinwand ihre ganz besondere Faszination – und das fernab von Ton-, Farb- oder gar 3D-Film. Zumindest ich brachte dem Film ab diesem Moment eine andere Wertschätzung entgegen als ich es erwartet hätte.
Nun zeichnete sich der frühe Film durch seine großen Gesten und theatralischen Mimiken aus, die heutzutage eher zum Lachen bringen denn echte Empathie erwecken. So war es entsprechend auch gewiss eine große Herausforderung, dem Genre Stummfilm gerecht zu werden und gleichzeitig die gezeigte Schauspielerei glaubhaft zu vermitteln. Den beiden Hauptakteuren Jean Dujardin und Bérénice Bejo ist das ausgezeichnet gelungen. In ihren „Film-Rollen“ zeigen sie zeitgemäßes Overacting, können aber auch auf der realen Ebene des Films mit eher moderner Schauspielerei trotzdem ohne Worte viel Gefühl vermitteln. Diese Gratwanderung würde ich mal als durchaus sehr gelungen bezeichnen.
Zwar ist die Handlung von „The Actor“ relativ überraschungsarm, trotzdem kann der Film über seine gesamte Länge sehr gut unterhalten. Dies ist nicht nur den guten Leistungen Dujardins und Bejos geschuldet, sondern geht zu einem beachtlichen Anteil auch auf das Konto des „ewigen Mitläufers“: dem ewig treuen Jack Russel-Terrier. Immer wieder konnte er mich begeistern. Mal mit seinen lustigen Hopsereien, dann mal wieder einfach durch die Tatsache, dass er (bzw. „sie“, denn es wurdemit drei Hunden gedreht) perfekt abgerichtet zu sein scheint.
Jean Dujardin besitzt nicht nur das perfekte Gesicht, um einen Hollywoodstar früherer Zeiten darzustellen, sondern hat sich auch hervorragend den Habitus und Gestus jener Zeit angeeignet. Bérénice Bejo als kesse Actrice Peppy Miller machte es durch ihre Ausstrahlung auch sehr einfach, ihr den kecken Filmstar mit gewissem Diven-Charme abzunehmen. Auf ihre Weise sehr anbetungswürdig. Mein Herz zumindest hatte sie mit ihrem bezaubernden Lächeln gleich in den ersten Szenen im Sturm erobert.
Die Laufzeit des Films vergeht überraschenderweise wie im Fluge, zum Schluss musste ich mir vor lauter Drama sogar ein kleines Tränchen verdrücken. Somit habe ich gelernt: Stummfilm kann durchaus auch heute noch richtig gut unterhalten. Vielleicht war es wirklich mal wieder an der Zeit, diese Filmform zu würdigen (der letzte „große“ Stummfilm mit Kino-Auswertung war 1976 der „Silent Movie“ von Mel Brooks). Mein Interesse zumindest ist geweckt. Ich will nun nicht mehr kategorisch ausschließen, dass ich mir tatsächlich auch mal ein echtes Frühwerk der Filmkunst ansehen würde. Somit hat der Film sicherlich eines seiner Ziele erreicht.
Bei den Oscars wird der Film vermutlich ziemlich einschlagen. Die Academy feiert ja gerne Filme ab, die Film thematisieren. Und auch wenn „The Actor“ auf der reinen Handlungsebene doch ein wenig farblos (im wahrsten Sinne) blieb, wird er den einen oder anderen Goldjungen zurecht entgegennehmen durfen.