Drehbuch: Matt Cook, Matt Cook, Peter Berg, Eric Johnson, Peter Berg, Paul Tamasy, Joshua Zetumer
Schauspieler*innen: Mark Wahlberg, John Goodman, J.K. Simmons, Kevin Bacon
Kinostart D: (FSK 12)
Kinostart US:
Originaltitel: Patriots Day
Laufzeit: 2:13 Stunden
Filmkritik zu Boston
Gerade einmal vier Monate ist es her, dass Regisseur Peter Burg mit Mark Wahlberg in der Hauptrolle einen Katastrophenfilm basierend auf wahren Ereignissen in Deutschland veröffentlichte: Deepwater Horizon . Nicht ein halbes Jahr später kommt die selbe Combo erneut mit einem Katastrophenfilm mit Stoff aus der nahen Vergangenheit in die Kinos. Diesmal basierend auf den Anschlägen des Boston Marathon im Jahr 2013.
Es scheint, als hätte Mark Wahlberg seine Schauspiel-Nische gefunden. Es scheint, als hätten wir ein neues Filmgenre, auf das wir uns in den kommenden Jahren einstellen können.
Ich nenne es mutig: Real Catastrophic Movies. RCMs – ist doch eine griffige Abkürzung.
Man kann darüber diskutieren, ob es sinnvoll, angemessen, pietätvoll, ja sogar sachlich fundiert ist, wenn man einen Kinofilm nur wenige Jahre nach den realen Ereignissen in die Kinos bringt. Die Deepwater Horizon ging 2010 in Flammen auf, der Anschlag in Boston ist am 15. April 2013 geschehen. Bereits am 31.03.2015 veröffentlichte CBS die Produktion und legte ein fertiges Drehbch vor. So ist die Spanne zwischen realem Event und Beginn der Produktion eines Blockbusters schon schmerzlich gering.
Über den moralischen Aspekt gibt es also viel zu diskutieren und das zu Recht. Diese Kritik soll diesen Aspekt aber bewusst ausklammern, sondern sich auf den Film an sich konzentrieren.
Mit diesem künstlich eingeschränkten Blick ist Boston ein packender Polizei-Thriller, der über seine gesamte Laufzeit seine Spannung aufrecht erhalten kann. Am Anfang erschließt sich einem nicht der rote Faden, da diverse Figuren augenscheinlich zusammenhangslos eingeführt werden. Doch alle Figuren stellen am Ende wichtige Personen dar.
Gerade, als sich die Sinnfrage stellt, steigt der Film ins Offensichtliche ein: Er zeigt die Täter bei der Vorbereitung ihrer Taten und allein durch die Darstellung gewinnt der Film seinen ersten Spannungsschub.
Der richtige Spannungsschub kommt selbstverständlich mit dem für Außenstehende sehr realistischen Explosionen von zwei Topfbomben. Das entstehende Chaos direkt danach, die ambitionierten, aber einfach menschlich nicht schaffbaren Soforthilfemaßnahmen, die anfangs unkoordinierte Kommunikation, sodass noch Marathonläufer in das Anschlaggebiet hineinliefen: Es ist beklemmend.
Sowohl Deepwater Horizon als auch Boston muss man eine gewisse Dramatisierung zugunsten der Unterhaltung zuschreiben – beides sind Unterhaltungsfilme, keine Dokumentationen. Und doch haben sie den Anspruch, sich an die realen Gegebenheiten grob zu halten. Das Wissen um diesen Aspekt sorgt für erhebliche Anspannung, nicht nur beim Anschlag.
Die schnell einberufene Sonderkommission, das Kompetenzgerangel, die ständige Entscheidung, ob man die schnell isolierten Täterbilder veröffentlichen soll: All das ist grob so passiert, es entspringt keinem kreativen Kopf. Besonders die Flucht der Täter und deren erste Auseinandersetzung mit der Polizei dürfte gerade die europäischen Zuschauer in ihrer Vehemenz schockieren und somit, so zynisch es ist, entsprechend unterhalten.
Boston tappt wie schon sein Vorgänger nicht in die Falle des übertriebenen Patriotismus, sondern ist auch außerhalb Amerika genießbar. Die Mitarbeit der Bostoner Bewohner ist so geschehen, die Stadt wurde tatsächlich von Staats Wegen lahmgelegt. Beides erscheint surreal und ist dennoch passiert. Die Reaktionen der Bürger und Maßnahmen der Polizei tragen so zum Unterhaltungswert der Rückschau auf die Ermittlungen bei: Was in skriptierten Drehbüchern maßlos überzogen scheint, ist reale Vergangenheit – und das Wissen darüber ist der tragende Spannungsfaktor. Lediglich am Ende gedenkt man mit Einblendungen den Toten dieses Anschlags, die glücklicherweise sehr gering ausgefallen sind. Doch das ist eine Sache der Würdigung, nicht des Patriotismus.
In Summe ist Boston ein vollends gut gelungener Kinofilm: Ein hoher Spannungsgrad, gutes Schauspiel, packende Auseinandersetzungen – und trotz aller Probleme ein schneller und zielgerichteter Erfolg der Polizei und des FBI. Die unkommentiert hineingeschnittenen Original-Mitschnitte vom Anschlag oder Aufnahmen von Kameras nach dem Anschlag sorgen für das notwendige Maß an Authentizität, das Casting ist vom Phänotyp wieder gut gelungen und so gibt es, abseits des moralischen Aspekts, kaum etwas am Film auszusetzen.