Drehbuch: Rory Stewart Kinnear, Lynne Ramsay, Lionel Shriver
Schauspieler*innen: Tilda Swinton, John C. Reilly, Ezra Miller, Jasper Newell
Kinostart D: (FSK 16)
Kinostart US:
Originaltitel: We Need to Talk About Kevin
Laufzeit: 1:50 Stunden
Filmkritik zu We Need to Talk About Kevin
Schon das Buch hat Dani und mich vor einigen Jahren sehr gefesselt. Darin wird die Boshaftigkeit Kevins dermaßen detailliert beschrieben, dass Dani sich zu folgendem Kommentar hinreißen ließ: „Wenn man das Buch so liest, dann will man sich als Frau am liebsten gleich die Eierstöcke rausreißen.“ Und auch als Mann denkt man darüber nach, wie man die Fortpflanzung möglichst effektiv beeinflussen kann, um die Geburt eines solchen Teufels zu verhindern.
Böse Kinder kennt man in der Filmwelt ja schon lange. Sei es der Sohn des Teufels, den man in diversen „Das Omen“-Filmen erleben durfte oder sei es das kleine Mädchen mit den splissigen schwarzen Haaren und dem Nachthemd aus „The Ring“, das Phil auch heute noch spätnachts schreckhaft auf den Schrank springen lassen kann. Der Unterschied zu Kevin ist klar: „We need to talk about Kevin“ spielt in der Realität. Hier gibt es keine magischen Kräfte, keine Flüche und schockierende Spiegelschrank-Szenen. Und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – hat die Figur des Kevin einen solchen Impact. Abgesehen von dem handlungsumspannenden Massaker hat man in keiner Szene Angst um das Wohlergehen der anderen Protagonisten. Kevin geht es nicht darum seine Mutter körperlich zu verletzen, sondern ihr durch seine grobe Boshaftigkeit einen möglichst großen psychischen Schaden zuzufügen. Und so ist der Film nicht von der Angst um Eva geprägt, sondern davon, was sich dieser Teufelsbraten noch ausdenkt, um seinem Hass Ausdruck zu geben. Vor allem seine berechnende Art versetzt einem ein ums andere Mal einen gruseligen Schauer. Wenn er beispielsweise seiner Mutter mal wieder auf’s übelste widerspricht und kaum, dass Daddy (John C. Reilly) nach Hause kommt sein schönstes Mustersohn-Lächeln aufsetzt.
Schade, dass der Konflikt, den Kevin damit zwischen seinen Eltern provoziert, hier nur ansatzweise aufgearbeitet wird. Gerade hier liegt meiner Meinung nach doch eine gewisse Spannung: wenn ein Elternteil sein Kind als artig und gut erzogen erlebt, das andere Elternteil aber nur einen biestigen kleinen Mistkerl erlebt. Sowas führt früher oder später in der Erziehung (oder der Ehe insgesamt) zu Komplikationen, die hier nur schwer greifbar und unzureichend anerzählt bleiben.
Der Einstieg in den Film ist eher schwer und verwirrend. Wer von dem Film noch überhaupt nichts mitbekommen hat, dem wird es anfangs sicherlich schwer fallen zu verstehen, um was es eigentlich geht. Zumal der Film die gesamte Zeit hindurch gerne mal in den Zeiten springt. Anfangs wirkt alles etwas diffus, weil Kevin mal Baby, mal Teenager, mal 8jähriger ist. Nach kurzer Zeit einigt sich der Film dann aber darauf, möglichst zwischen der Jetzt-Zeit und dem kontinuierlichen Aufwachsen Kevins hin und her zu springen. Alles in allem ist die Handlungsabfolge aber sehr gut gelöst und letztlich die einzig mögliche Art, diesen Stoff zu verfilmen. Auch interessant: obwohl es um ein Blutbad geht und die Farbe Rot in Form von Tomatenmatsch und Malerfarbe teilweise schon aufdringlich präsent ist, sieht man in dem Film keinen Tropfen Blut. Eine FSK12er-Freigabe ist sicherlich dennoch nicht angeraten.
Die herausragenden Darsteller machen den Film dann vollends zu einem sehenswerten Werk. Tilda Swinton zeigt einmal mehr, dass sie eine Ausnahmeschauspielerin ist und ihren Oscar im Gegensatz zu anderen wirklich zu recht bekommen hat (schönen Gruß an dieser Stelle an Reese Witherspoon und „Walk The Line“…). Ezra Miller überzeugt auch auf ganzer Linie, verleiht er Kevin doch diese bedrückende, aufdringliche Präsenz und diabolische Aura, nach der diese Rolle förmlich schreit. Auch John C. Reilly liefert gut ab, hat aber leider zu wenig Szenen, um wirklich zu glänzen.
„We need to talk about Kevin“ ist wahrlich kein einfacher Film, der sich mal eben so weggucken lässt. Die Boshaftigkeit des Kindes verstört ein ums andere Mal, das ständig anwachsende Leid der Mutter ist nachvollziehbar und tut teilweise schon fast körperlich weh. Das war mal wieder einer der Filme, in denen ich 99% der Zeit einen fetten Kloß im Hals hatte. Es muss nicht immer eine unterhaltende RomCom sein. Mir hat der Film ausgezeichnet gut gefallen. Und endlich mal wieder ein Film dessen Buch ich gelesen habe und mit dessen filmischer Umsetzung ich rundherum zufrieden bin – auch wenn das Buch zum einen natürlich intensiver ist, zum anderen auch andere Schwerpunkte legt. Sehenswert ist der Film in jedem Fall.