Drehbuch: Gregg Hurwitz
Schauspieler*innen: Naomi Watts, Jaeden Martell, Jacob Tremblay, Sarah Silverman
Kinostart D: (FSK 12)
Kinostart US: (FSK PG-13)
Originaltitel: The Book of Henry
Laufzeit: 1:46 Stunden
Filmkritik zu The Book of Henry
Es ist ein Wagnis, ein Thriller-Drama für Erwachsene auf den Schultern von Jungdarstellern aufzubauen und darauf zu setzen, dass diese fähig sind, dem Anspruch gerecht zu werden. Zugleich ist es erfreulich zu sehen, wenn das Wagnis sich lohnt und die Idee grundsätzlich aufgeht.
Jaeden Lieberher spielt den intelligenten Sohn empathisch und liebenswürdig, deutlich über das eines Kindes hinausgehend. Das Wesen und Auftreten seiner Rolle strahlt eine extreme Ruhe und Besonnenheit aus, dass man ihm ähnlich wie Naomi Watts im Film ohne Skrupel die Haushaltsverwaltung überlassen würde. Lieberher übernimmt diese Rolle mit der notwendigen Ernsthaftigkeit in einer erstklassigen Konstanz.
Der Film ist inhaltlich und auch von seiner Bewertung ziemlich gut in der Hälfte zu betrachten.
Die erste Hälfte des Films zeigt, wie stark Henry trotz seiner 11 Jahre mit seiner Intelliganz zur Vaterfigur der Familie geworden ist. Er kümmert sich um Aktien und Versicherungen, während die Mutter ganz offen von Henrys Fähigkeiten schwärmt – und sich von diesem gern unterstützen lässt. Für seinen jüngeren Bruder ist er mit seiner Empathie und Fürsorge ein großes Vorbild, in der Schule ebenfalls angesehen und gemocht. Sein Gerechtigkeitswille ist angesichts der nie dargestellten Übergriffe des Nachbarn auf seine Tochter extrem ausgeprägt.
Dieser Teil des Films baut eine hervorragende, liebevolle und zugleich spannende Situation auf – insbesondere getragen durch die Performance von Jaeden Lieberher.
Der zweite Teil des Films konzentriert sich darauf, die Taten des Nachbarn zu beweisen und in der Tochter zu Hilfe zu eilen. Es gibt gute Gründe, warum Henry dies nicht selbst tun kann, weswegen das namensgebende Buch von Henry, in dem er alle Ideen und Überlegungen niedergeschrieben hat, die Mutter anleitet.
Ab diesem Zeitpunkt lässt der Film deutlich nach und die im direkten Dialog sinnvoll eingewobene Empathie und Intelligenz Henrys gerät zu einer Art Wahrsagerei: Es gibt keine Situation, die Henry nicht bedacht hat, für jedes Argument hat er bereits das Gegenargument vorformuliert. Teilweise sieht er sogar Aussagen und Reaktionen voraus und hat entsprechende Antworten parat. Die Auflösung des Films ist kaum klassischer zu gestalten und wird somit dem Aufbau des ersten Teils des Films nicht gerecht.
Die gegebene Situation ist eine perfekte Vorlage für die Auseinandersetzung damit, dass ein 11-Jähriger seine Rolle nicht mehr wahrnehmen kann und nun die Mutter die Erwachsenenrolle einnehmen muss. Womöglich, dass der kleine Bruder nun im Übereifer versucht, die Rolle einzunehmen. Diese Momente scheinen ganz kurz in wenigen Szenen durch und halten kurzfristig die Besonderheit des Films aufrecht, ehe er dann in sehr bekannte Schemata verfällt.
Dennoch wird der Film aufgewertet durch die hervorragenden Kinderdarsteller. Jaeden Lieberher und Jacob Tremblay zeigen in diesem Film mit schauspielerischer Brillianz, welches Potential in ihnen steckt. Wenn in einer Nahaufnahme selbst Tremblays Nasenflügel beim Weinen zittern, dann zeigt dies, wie sehr der junge Schauspieler seinen Körper für die Rollen unter Kontrolle hat.
Es ist schade, dass das Drehbuch dem Schauspieltalent nicht durchgehend gerecht wird. Dennoch enthält die Geschichte so viele kleine Side-Plots und kurze Szenen des Zaubers der Kindheit, dass man am Ende doch der Überzeugung ist, einen besonderen Film gesehen zu haben.