Drehbuch: Arend Remmers
Schauspieler*innen: Reza Brojerdi, Erkan Acar, Xenia Assenza, David Masterson
Kinostart D: (FSK 16)
Kinostart US: (FSK PG-13)
Originaltitel: Schneeflöckchen
Laufzeit: 2:00 Stunden
Filmkritik zu Schneeflöckchen
Ein Drehbuch im Film ist das Drehbuch für den Film. Mehr noch: Die Protagonisten finden ihr eigenes Drehbuch und versuchen, sich aus den Zwängen des Drehbuchs zu befreien, um dann ernüchtert festzustellen, dass das Drehbuch dies genau vorsah.
Ein interessantes Spannungsfeld, das sich der Film da vorgenommen hat. Er nahm sich noch einige andere Felder vor – und verrennt sich in seinem eigenen, lobenswerten Ideenwahnsinn.
Die Grundidee des Films ist eine gute: Augenscheinlich normale Menschen stellen fest, dass sie offensichtlich Spielfiguren eines Drehbuchautoren sind. So sehr sie versuchen, aus diesem auszubrechen, so sehr verstehen sie, dass genau dies das Drehbuch für sie vorsah. Das ergibt einige skurrile Szenen – insbesondere, weil die Protagonisten Tan und Javid selbst zwei grundverschiedene Typen sind. Doch der Film zeigt die beiden über Maß, wie sie lediglich das Drehbuch lesen und sich über ihre Situation beschweren. Nach einer Szene ist das Prinzip klar und leider tragen weder Grundidee des Drehbuchs im Drehbuch noch die Charaktere ausreichend Unterhaltungsfaktor allein, um die Szenen mehrfach zu wiederholen.
Relativ früh stoßen Tan und Javid auf den Drehbuchautoren und lassen ihren Frust über ihre Situation an ihm schmerzhaft aus. Die Erkenntnis, dass er auch die Macht hat, ihr Schicksal zu verändern, kommt jedoch sehr spät – zu spät. Erst in den letzten Szenen verbünden die beiden sich verstärkt mit dem Autoren, um ihre eigene Zukunft zu schreiben. Dieses Element des Seine-Realität-Schreiben hat viel Potential in sich, wurde jedoch nur am Rande ausgeschöpft. Auch gibt es abseits des Drehbuchschreibens interessante Aspekte, die zu kurz kommen: So ergeben sich formale Endlosschleifen, wenn ein Protagonist im Drehbuch liest, dass er ein Drehbuch liest, sodass dargestellt werden muss, dass der Protagonist liest, dass er gerade das Drehbuch liest, was wiederum im Drehbuch niedergeschrieben werden muss, dass es dargestellt werden muss, wie der Protagonist… .
Das sind pfiffige Gedankenspiele, die die Grundidee mit Spritzigkeit ausfüllen. Weitere naheliegende Gedankenspiele wie „Was passiert, wenn der Drehbuchautor Szenen nachträglich umschreibt, weil sie ihm nicht gefallen“ wurden nicht berücksichtigt.
Stattdessen greift der Film auf diverse andere Figuren und deren Geschichte zurück, ohne diesen eine Tiefe zu geben: Gangster, die nur wie ein Schwein quieken können; ein skurriler Superheld ala KickAss, der mit Elektroschlägen der Gangsterwelt Einhalt gebieten möchte; ein Andriod als Empfangssklave; ein faschistoider Bürgermeister.
Es ergibt sich eine bunte Melange von Skurrilitäten, die aber zu ernstgemeint inszeniert sind als dass sie als „Over-The-Top“-Komik funktionieren. Und so wäre eine Konzentration auf die eine, wirklich hervorragende Grundidee womöglich die bessere Idee gewesen. Die Kreativität dafür lag eindeutig vor, der Spaß an der Sache ebenfalls.
Am Ende bleibt der Wunsch nach weniger Vielfalt, aber dafür mehr Tiefe der verbleibenden Themen. Denn inszenatorisch und dramaturgisch funktioniert jeder Teilaspekt in sich geschlossen gut. Auch ist die Produktion hochwertig und unterstützt das Setting. Aber das Zusammentreffen aller Figuren, aller Ideen, aller Mindfucks und kreativem Erguss deren überlädt den Film und macht ihn spürbar kantiger als er hätte sein können.