Drehbuch: Wes Anderson, Roman Coppola
Schauspieler*innen: Jared Gilman, Kara Hayward, Bruce Willis, Edward Norton
Kinostart D: (FSK 12)
Kinostart US: (FSK PG-13)
Originaltitel: Moonrise Kingdom
Laufzeit: 1:34 Stunden
Filmkritik zu Moonrise Kingdom
Zugegeben: um die Filme von Wes Anderson habe ich bisher einen großen Bogen gemacht. Zwar konnte ich in ihnen immer eine liebenswerte Skurrilität erkennen; mit dem Humor bin ich aber selten wirklich warm geworden. Umso besser, dass ich mich nun im Rahmen einer Vorpremiere mal ganz auf einen Film einlassen musste, ohne die Möglichkeit zu haben, wegzuzappen.
Der Kommentar der werten Gattin war ein lapidares „Kinderfilm.“ Könnte man tatsächlich so stehen lassen, auch wenn ich der Meinung bin, dass der Film sich weniger an Kinder denn an Erwachsene richtet, die sich eine gewisse Kindlichkeit erhalten haben. Und so macht es vermutlich gerade für Erwachsene einen Großteil des Reizes aus, diese erste Romanze zwischen zwei Kids zu sehen, die gerade mal am Rande zur Pubertät stehen. Auf der einen Seite ist Sam, der lütte Freak, der aber trotz seines nerdigen Aussehens inklusive Hornbrille versucht, cool zu wirken (und es irgendwie ja auch ist, allein weil ihm seine Außenwirkung offensichtlich sehr egal ist). Auf der anderen Seite Suzy, die, gerade mal am Anbeginn der körperlichen Entwicklung zur Frau, ganz auf erotischen Vamp mit geheimnisvollen Blick macht (und ja, auch das nimmt man ihr ab). Schön zu sehen, wie sie sich gegenseitig ihre Welt erklären und sich der körperlichen Liebe ganz zaghaft annähern. Erwähnenswert: beide Darsteller sind absolute Neulinge und machen ihre Sache dafür verdammt gut.
Die beiden allein wären aber nur der halbe Spaß, denn großen Anteil am hohen Unterhaltungswert haben all die anderen schrägen Charaktere. Sei es Bruce Willis, der einen wahren Dorf-Cop (oder-Depp) verkörpert oder Edward Norton, dem man nach „Fight Club“ und „American History X“ so viel Spießigkeit und Uncoolness kaum zugetraut hätte – Mathelehrer, ja klar…
Dass der Film sich von normalen Komödien doch eine ganze Ecke unterscheidet merkt man beispielsweise an dem netten alten Mann im knallroten Baumwollparka. Das ist nämlich eigentlich der Erzähler der Geschichte, der sich aber gern mal ins Bild drängt oder gar Teil der Handlung wird. Erwähnt sei auch Tilda Swinton, die nicht nur eine Frau vom Jugendamt spielt, sondern den kompletten Film auch von allen einfach nur „Jugendamt“ genannt wird. Schon eher ungewöhnlich. Ebenso wie der Verlauf der gesamten Geschichte. Verrückt, skurril und zumeist sehr überraschend. Was diesen Film für mich dabei auszeichnet: ich fand’s spannend! Ich wollte unbedingt dran bleiben, weil ich sehen wollte, wie sich diese Geschichte weiter entwickelt.
Natürlich gibt es auch einige Kritikpunkte. Schon an meiner Frau sehe ich, dass der schräge Humor nicht bei jedem zündet. Gerade zum Ende hin entwickelt sich alles in eine sehr skurrile Richtung, die an Helge-Schneider- oder Monty-Python-Filme erinnert. Muss man mögen, ist nicht jedermanns Sache. Teilweise fand ich einzelne Handlungsstränge zu kurz anerzählt. Dass die Mutter der vermissten Suzy ein Verhältnis mit dem Polizisten hat ist für die Handlung nicht wirklich von Belang und verwirrt eigentlich nur, zumal es nur bruchstückhaft aufgegriffen, aber nie wirklich aufgearbeitet wird. Andererseits hingegen gibt es auch viele Momente, in denen kleine Randgeschichten einfach ohne Worte erzählt werden (die Romanze des Camp-Leiters).
Kurzum: dass ich das Wort „skurril“ hier wohl ein paar Mal gebraucht habe, hat seinen Grund. Wer sich auf den Humor der Marke Schneider oder Python einlassen kann oder bisher gute Erfahrung mit Anderson-Filmen gemacht hat, sollte sich den Film nicht entgehen lassen. Schöne Mischung aus Romanze und Abenteuerfilm im Look eines Kinderfilms, der aber eigentlich keiner ist. Ihr merkt: es fällt schwer da ein allgemeingültiges Urteil abzugeben. Also nur so viel: mir hat’s gefallen, ich werde Trampoline fortan in einem neuen Licht sehen und mich wohl auch mal auf ein paar andere Anderson-Filme stürzen.
„Skurril“. Das war das Erste, was mir in den Sinn kam.
Dann kam „Süß“ dazu.
Und nach ein bisschen „Wow“ hinzu.
All diese Impressionen fangen beim Aufbau des Zeltlagers an: So komisch, abgefahren und irgendwie detailverliebt skurril habe ich noch nie ein Zeltlager gesehen. Ein Junge, der aus einem Zeltlager flieht: Vielleicht nicht ganz ungewöhnlich. Aber in das Zelt ein Loch zu schneiden, dies mit einem Poster zu verdecken, um aus diesem zu flüchten: Es ist so … anders. Im ersten Moment vielleicht sogar befremdlich – aber irgendwie liebenswürdig. Wenn eine „Ehekrise“ bevorsteht und das „Paar“ zum Trampolin geschickt wird, um sich zu beraten – herrlich, diese Diskrepanz der Szenerie. Die versehentlichen Wutausbrüche von Suzy, die man dem Mädchen gar nicht zutraut – ein unerwarteter Bruch in einem Charakter, den man sich selbst nach „Schema F“ einsortiert hatte und nun komplett anders sieht.
Und genau dies zieht sich durch den gesamten Film: Eine ständige gewisse Übertreibung aller Taten, aller Charaktere, aber nie überzeichnet. Es wurde sich auf einen verdammt schmalen Grat begeben – und man ist nicht abgerutscht. Großartig!
Wenn Sam, zwar aus den Pfadfindern ausgestiegen, aber stets pflichtbewusst, tugendhaft und umsichtig sich um seine Suzy kümmert, das ist einfach großartig. Ab und zu überschreitet er die Gedankenwelt eines Zwölfjährigen und haut Sprüche raus, die bei entsprechendem Alter als machohaft abgetan würden, aber man kann es dem Sam einfach nicht übel nehmen. Von einem Ziel getrieben, von der Liebe getrieben, erkundet er mit seiner eigenen naiven Sichtweise die Welt – und schafft es so in jedermanns Herz.
Sam ist der heimliche Star des Films und spielt Größen wie Edward Norton oder Bruce Willis locker gegen die Wand.
Doch auch die Art der Inszenierung ist großartig. Die Bilder strotzen vor Geometrie, das Objekt ist millimetergenau im Zentrum des Bildes. Weitere wichtige Gegenstände befinden sich mindestens ebenso geometrisch ausgerichtet, wie mit dem Zirkel abgemessen, um das Objekt des Zentrums herum. Keine Person steht zufällig auf seiner Position, jede Bildkomposition ist bis ins Detail geplant. Doch gerade dies unterstreicht wieder die dezente Skurrilität des Films, auch die manchmal unerwarteten Charakterzüge aller Rollen.
Das Gesamtpaket ist großartig. Teils mehr noch. Der Film muss vielleicht etwas wirken – aber nach wenigen Stunden ist man hin und weg: „Moonrise Kingdom“ ist einfach ein toller Film, den man nach dem ersten Mal gleich noch einmal sehen möchte.