Filmszene aus Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte

Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte

Regie: Michael Haneke
Drehbuch:
Schauspieler*innen: Christian Friedel, Ernst Jacobi, Leonie Benesch, Ulrich Tukur

Kinostart D: (FSK 12)
Kinostart US: (FSK R)
Originaltitel: Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte
Laufzeit: 2:24 Stunden
Filmposter: Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte

Filmkritik zu Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte

Benutzerbild von andreas
4/ 5 von

Es drängt sich mir fast auf, eine Vergleichs-Kritik zwischen „Das weiße Band“ und Lars von Triers „Antichrist“ zu schreiben. Beides sind eher schwer zugängliche Filme, die zu keiner Sekunde versuchen, sich beim Massenpublikum anzubiedern. Doch im Gegensatz zu von Trier überschreitet Regisseur Haneke niemals die Grenze von Bedrücktheit zur Verstörung. Und das ist auch gut so!

Haneke hat bereits vor 12 Jahren mit „Funny Games“ bewiesen, dass er dem Zuschauer brachial an den Nerven zehren kann. Dass er es versteht, ohne großen „Armageddon“-Bombast Otto-Normalbürger aus ihrer alltäglichen Sicherheit zu reißen. Zwar wurden dort unbescholtene Bürger Opfer von abscheulicher Gewalt – einzig gezeigt wurde sie nicht. Wo von Trier hemmungslos draufhält und selbst die ekelhaftesten Gewaltfantasien in Nahaufnahme auf die Leinwand bringt, überlässt Haneke das Brutale der Fantasie des Zuschauers. Mit „Caché“ lieferte er zuletzt (vor dem Remake „Funny Games U.S.“) sogar einen Film ab, der ausschließlich durch psychische Gewalt auf hervorragende Weise zu fesseln vermochte. Nun also „Das weiße Band“…

Am auffälligsten ist sicherlich die Tatsache, dass der gesamte Film in schwarz-weiß gedreht wurde. In Zeiten, in denen andere auf knallbunte 3D-Effekte setzen, besinnt sich Haneke auf die Stärke des farblosen Bildes: die Farbe wird jeglicher Aufmerksamkeit beraubt, Fokus und Tiefenschärfe wandern in den Blickpunkt des Betrachters. Vor allem durch die hervorragende Kameraarbeit von Christian Berger wird der Film zu einem wahren Meisterwerk. Viele Einstellungen sehen aus wie gefilmte Portraits, Nahaufnahmen reduzieren das Blickfeld des Zuschauers auf das Allerwichtigste; teilweise sehr grelle Wechsel zwischen hellen und dunklen Szenen sorgen nie für einen billigen Effekt, sondern unterstreichen die Stimmung, wirken nach manch beklemmender Szene wie eine lichtgewordene Erlösung.

Während die Kameraarbeit meiner Meinung nach extrem auf Oscar-Kurs fährt, muss ich der Handlung dieses Prädikat jedoch absprechen. Die Geschichte des Films ist – wie es der Untertitel schon sagt – „eine deutsche Kindergeschichte“. Zwar ist Haneke mit seinem Drehbuch ein punktgenaues Sittengemälde der späten Preußen-Zeit gelungen, in dem Obrigkeitsdenken, Anstand und Disziplin ein gern gesehener Deckmantel für allerlei Sünden waren; ob die Academy mit diesem durch und durch europäischen Grundthema viel anfangen kann, wage ich zu bezweifeln.

Natürlich ist die Idee wirklich klasse, den beginnenden Faschismus in Deutschland exemplarisch am Beispiel einer kleinen Gemeinde durchzuexerzieren. Die Schwachen, denen Strafe droht, lassen ihren Frust an den noch schwächeren aus – seien es zurückgebliebene Altersgenossen oder unschuldige Vögel. Ausgrenzung von Minderheiten ist hier genauso Thema wie Auflehnung gegen monarchistische Strukturen. Der Bauer begehrt auf gegen den Großgrundbesitzer. Symbol für einen deutschen Wandel, der durch die Schmach des Versailler Vertrages nur verstärkt wurde. Das Kleine steht für das Große.

Doch auch angesichts verschiedener Verbrechen, die sowohl im Öffentlichen als auch im Verborgenen stattfinden, geht Haneke weiter seinen „gewaltfreien“ Weg, der Gewalt nur erahnen lässt. „Pädagogisch wertvolle“ Peitschenhiebe werden ebenso wenig gezeigt wie die Folter eines Behinderten. Selbst bei der Darstellung einer Toten, die durch einen Arbeitsunfall im Sägewerk ums Leben gekommen ist, scheut Haneke die Darstellung und überlässt es dem Zuschauer, sich selbst ein imaginäres Bild zu machen. Und wir alle kennen das aus Kindertagen: das imaginäre „Monster unter dem Bett“ war immer furchterregender als der gemalte Drache im Bilderbuch.

Der Film lässt viele Fragen offen bzw. bietet verschiedene Optionen und verweigert bis zum Ende die Eindeutigkeit. Einzig eines ist am Ende klar: Eichwald ist trotz frommer Kirchengesänge von akkurat gescheitelten Chorknaben alles andere als ein Vorzeigedorf.

…und wie hat er mir persönlich nun gefallen? Ich bin zwiegespalten. Auf der einen Seite fehlt dem Film oberflächlich tatsächlich klar eine stringente Handlung. Zwischen einzelnen Szenen gibt es oft keine kausalen Zusammenhänge. Haneke zeigt einfach das Leben im Dorf, ohne sich auf die Suche nach Tätern zu konzentrieren. Ich habe mich lange gefragt, wo dieser Film eigentlich hin will. Mit dieser Form erinnerte er mich in manchen Teilen an den Oscar-Abräumer „There Will Be Blood“, der auch sehr gemächlich und unscheinbar daher kam. Für meinen Teil war auch eine gewisse Nähe zu Literaturverfilmungen wie „Die Blechtrommel“ mit von der Partie. Zumindest kam für mich eine ähnliche Grundstimmung auf; die Atmosphäre war sehr dicht und stimmig. Das Dorfleben wirkte nicht wie gestellt, sondern sehr authentisch. Und mit seinem genialen Ende hat der Film noch mal ein paar Pluspunkte bei mir gemacht. Er bleibt aber schwere Kost, die durchzustehen durchaus lohnenswert sein kann.

Benutzerbild von Phil
2/ 5 von

Im abseits gelegenen Dorf kommt es zu mysteriösen Vorfällen und die Bewohner misstrauen sich gegenseitig. Und diese Geschichte vom selben Mann, der auch „Funny Games“ schrieb. Es sollte ein knallharter Psychothriller werden…

Der Film, der komplett in schwarz-weiß auf die Leinwand gebracht wird, führt langsam und im Detail nahezu alle Bewohner des Dorfes ein, kaum einer bleibt einem unbekannt. Jede Familie erhält ausreichend Zeit, sich und ihre Probleme darzustellen. Im frühen 20. Jahrhundert war Disziplin und Hörigkeit den Eltern gegenüber höchstes Gebot: Schläge und Demütigung sind familienübergreifend ein Problem. Nicht selten ist man angesichts der heute nicht vorstellbaren Zustände schockiert, auch wenn man nur sehr selten Zeuge der körperlichen Gewalt ist.

Man begleitet die einzelnen Familien durch ihren Alltag, doch die Vorfälle und das daraus resultierende Misstrauen bleiben nahezu außen vor. Sobald ein Vorfall geschieht, reagiert das Dorf kurz und ist schockiert, das Schwelen der Situation, der Angst und des Misstrauens sind jedoch kaum beleuchtet. Erst, als ein Kind des Dorfes einen Vorfall voraussehen kann, beginnt der Film etwas in Fahrt aufzunehmen. Bis dahin sind aber knapp 2 Stunden vergangen und der Film hat sein Feuer schon lange verschossen. Daran ändern einige Rache- und Hassaktionen nichts, deren Existenz totgeschwiegen und vergessen werden.
Die Machtlosigkeit, die die Gesamtsituation mit sich bringt, wird von der vorherrschenden Disziplin unterdrückt, sodass diese vielleicht in den Köpfen des Zuschauers, aber nie auf der Leinwand zu finden ist. Hier hat der Film aber seinen Dreh- und Angelpunkt, auf den die gesamten Vorfälle und natürlich auch das Ende basieren. Fehlt dieser Punkt, bricht das Filmkonzept in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

In der Summe erlebt man knapp 2 Stunden einen gut umgesetzten Film eines Dorfes in den 1910er-Jahren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Erst zum Schluss besinnt sich der Film auf sein eigentliches Ziel und handelt dieses in einem dem Film nicht angepassten Tempo ab.
Eine Enttäuschung.

Durchschnittliche Wertung: 1/5, basierend auf 2 Bewertungen.

Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte im Heimkino

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