Filmszene aus Boyhood

Boyhood

Regie: Richard Linklater, Vincent Palmo Jr.
Drehbuch:
Schauspieler*innen: Ellar Coltrane, Patricia Arquette, Ethan Hawke, Lorelei Linklater

Kinostart D: (FSK 6)
Kinostart US: (FSK R)
Originaltitel: Boyhood
Laufzeit: 2:45 Stunden
Filmposter: Boyhood

Filmkritik zu Boyhood

Benutzerbild von Lars
5/ 5 von

Über 12 Jahre hinweg hat Richard Linklater immer wieder wenige Tage an BOYHOOD gedreht und einen einzigartigen Film geschaffen, der in Episoden das Heranwachsen des jungen Mason (Ellar Coltrane) zeigt. Die Darsteller (u.a. Patricia Arquette und Ethan Hawke) altern mit ihren Figuren und erzeugen eine Collage des Jungen auf dem Weg zum Erwachsenen, eine Collage der amerikanischen Durchschnittsfamilie im Verlauf eines Jahrzehnts.Der Film beginnt, Mason ist sechs Jahre alt, er geht zur Schule, wohnt mit seiner Schwester bei seiner geschiedenen Mutter. Der Film geht voran, Mason wird von seinem Vater besucht, er verliebt sich, wird von Ersatz-Vätern schikaniert, er trinkt zum ersten Mal Alkohol, hat eine Freundin, arbeitet als Küchenhilfe in einem Restaurant, er macht seinen Schulabschluss. Mason geht aufs College, er ist erwachsen geworden, er wird erwachsen, wir waren dabei.

Es sind Momente der Kindheit, Momente der Jugend, die der Film scheinbar ohne eine narrative Verknüpfung aneinanderstellt. Die Übergänge sind teilweise kaum zu bemerken, Szenen gehen ineinander über, Jahre liegen dazwischen, die Figuren sind gealtert, die Umstände haben sich geändert – und doch war alles quasi erst gestern. Es ist dieser Modus der unbestimmten Erinnerung, den Linklater Film werden lässt. Wer erinnert sich noch an seine erste Party mit Alkohol? Wir sehen Mason auf einer Party, irgendeiner Party – es könnte seine erste Erfahrung sein, so eindeutig ist das nicht und es spielt auch keine Rolle: Es ist eine Situation, die so oder so ähnlich in der Erinnerung haften bleibt. Die Erinnerung an ein Gefühl, eine Zeit, eine Stimmung in einem bestimmten Alter bleibt erhalten, es sind nicht die Fakten und Daten, die nach Jahren noch im Rückblick an Kindheit und Jugend im Gedächtnis bleiben. Momente verdichten sich zur Nostalgie, zur Erinnerung eines Gefühls.

Mason ist Durchschnitt, genau wie seine Familie – mit sieben spielt er gerne Gameboy, in der Pubertät trägt er schwarze Kapuzen-Pullis, seine Mutter hat immer wieder neue Partner, die sich als persönliche Katastrophen herausstellen, in den letzten Schuljahren entdeckt Mason die Kunst und Fotografie für sich, schließlich geht er zum College, das Leben steht ihm offen. So oder so ähnlich könnte eine ganze Generation, die ihre Jugend um die Jahrtausendwende herum erlebt hat, ihr Aufwachsen unterschreiben. Mal mit mehr oder weniger Familien-Problemen, mal mit weniger oder mehr Plan für die Zukunft. Was bleibt, ist das Porträt einer Jugendgeneration, die gerade an der Schwelle des Erwachsenseins steht, die ersten Schritte schon über diese Schwelle gesetzt hat, hinter der Schwelle auf die eigene Kindheit zurückblickt.

BOYHOOD verkommt dabei nicht zu einem Film über die Zeitgeschichte der jungen 2000er – natürlich ist die Dichte an popkulturellen Referenzen hoch, aber nie ist sie Selbstzweck, sondern verankert den Film in einem spezifischen Zeitraum, der genauso gut ein anderer hätte sein können. Die enorme Stärke des Films liegt in der Breite seiner Zielgruppe. Jeder Mensch war jung, hatte eine Kindheit und Jugend, in die er sich zurücksehnt, niemand wird gern älter, kaum jemand hat nicht ab und an den Wunsch, noch einmal diese besten Jahre der großen Freiheit erleben zu dürfen. BOYHOOD gibt diese Möglichkeit, indem er ein Gefühl der nostalgischen Erinnerung erzeugt. Plötzlich fühlt es sich genau so an, wie damals. Plötzlich weckt der Film durch eine Stimmung, durch eine Momentaufnahme ein ganz persönliches Stück Erinnerung im Zuschauer. Das ist der Zauber – BOYHOOD lässt uns nostalgisch sein. Linklaters Inszenierung ist ruhig, bedächtig, lädt zu eben dieser Erinnerung ein – und doch hat sie immer einen Fuß in der Zukunft, steht immer in einem Strom der fließenden Zeit. Wir wissen nicht, was morgen kommen wird und können nichts daran ändern, dass gestern vergangen ist. Aber wir können uns erinnern und haben keine Angst, solange wir wissen, dass kein Moment je ganz verloren sein wird.

Boyhood im Heimkino

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