Drehbuch: John Lee Hancock, Michael Lewis
Schauspieler*innen: Sandra Bullock, Tim McGraw, Quinton Aaron, Jae Head
Kinostart D: (FSK 6)
Kinostart US: (FSK PG-13)
Originaltitel: The Blind Side
Laufzeit: 2:09 Stunden
Filmkritik zu Blind Side – Die große Chance
Inspiriert bin ich zugegebenermaßen von der vernichtenden Filmkritik bei den Fünf Filmfreunden, bei denen der Film nicht mal einen Trostpunkt in der Wertung erhält. Sie ist auch der Grund warum ich diesen Film eigentlich auslassen und viel lieber „Green Zone“ gucken wollte. Doch was macht man nicht alles für die Liebe? 😉
Es kommt nur selten vor, dass ein Film, der offensichtlich so viele Unzulänglichkeiten aufweist, bei mir relativ gut wegkommt. Für ein Armuts-Drama kommt „Blind Side“ ziemlich unterhaltsam daher: der Film kommt daher wie eine Ansammlung an positiven Wohlfühl-Momenten, in die man sich als Zuschauer auch gerne fallen lässt wie in ein weiches Kissen. Dem kleinen Tuohy-Sohn dabei zuzusehen, wie er den doppelt so großen Michael über den Rasen hetzt macht ebenso Spaß wie der schlagfertigen Leigh Anne dabei zuzuhören, wie sie mit ihren unkonventionellen Trainingsmethoden erfolgreich in die Männderdomäne des Football hereinbricht. Natürlich ist es angenehm sich einem Film hinzugeben, der mit jeder Szene auszusagen scheint „Alles wird gut!“. Und so ist „Blind Side“ ein Film, wer zwar gut unterhalten kann, jedoch nach dem Kinobesuch nicht lange haften bleiben wird.
Dafür gibt es viele Gründe: es fängt damit an, dass dem Publikum bloß nicht zu viel Elend zugemutet werden darf. Weder wird tatsächlich mal wirklich in eindringlichen Szenen gezeigt, was für eine bescheidene Jugend Michael bis zum Treffen der Tuohys hatte, noch regt sich irgendwo mal großer Widerstand in der Familie. Da nimmt die Mutter einen fremden Schwarzen aus einem Elendsviertel in der heimischen Villa auf, und keinen stört es. Dass eine solche Aktion zwangsläufig irgendwann, früher oder später, zu Konflikten in der Familie führen muss, wird hier mal gediegen ausgeblendet. Anfangs regt sich kein Widerstand gegen die zugegebenermaßen sehr resolute Mutter, später stehen sie alle für ihr neues Familienmitglied ein. Die Probleme, die sich für ein solches Verhalten im sozialen Umfeld ergeben, werden auf ein zweiminütiges Tischgespräch der örtlichen High-Society-Damen heruntergebrochen. Doch auch die Reaktionen der Freundinnen, die sich über das ungewöhnliche Verhalten von Leigh Anne wundern, wird mit einem „Entweder ihr hört auf rumzumeckern, oder ich esse meinen überteuerten Salat demnächst woanders!“ weggewischt. Gut, die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit und ja, der echte Michael hat seinen Weg tatsächlich bis in die NFL gemacht – aber so konfliktlos, wie es uns der Film weismachen will, ist das sicherlich nicht abgegangen.
Um auf die Kritik der Filmfreunde zurückzukommen, die dem Film vor allem vorwerfen, dass er die republikanischen Ideale vertritt, nach denen die „guten reichen Weißen die hilfsbedürftigen armen Schwarzen domestizieren“: ja, kann ich nachvollziehen. Zwar gibt es auf der einen Seite zwar die eben genannte Szene beim High-Society-Dinner, bei der offenbar wird, was reiche weiße Frauen von armen Schwarzen halten – diese Kritik an den Sichtweisen der Weißen bleiben aber Mangelware. In sich ist der Film manchmal auch nicht ganz sicher, wie er denn nun mit Michael umgehen soll. Auf der einen Seite hält Michaels Lehrerin stolz seine Klausur mit 2 einer 2+ in die Höhe und proklamiert: „Er ist nicht dumm!“, auf der anderen Seite wird Michaels Entscheidung für ein College in einer Art und Weise manipuliert, wie sie selbst ein Fünfjähriger durchschauen würde. Ja was denn nun? Klug und einfach nicht gefördert oder doch stockdoof? Auch wenn ich dem Film nicht jene krassen Vorhaltungen mache wie die Filmfreunde – so ganz unrecht haben sie dann doch nicht.
Normalerweise würde ich jetzt sagen „Ist der Film nicht viel zu belanglos und unwichtig, als dass man da eine solche Grundsatzdebatte vom Zaun brechen sollte?“, allerdings ist „The Blind Side“ in den Staaten der erfolgreichste Film mit einer weiblichen Hauptrolle, was ihm dann trotz seiner Beliebigkeit wieder eine gewisse Relevanz verleiht.
Was bleibt zu sagen? Oscarreif war die Leistung von Sandra Bullock in diesem Film sicher nicht, anscheinend war sie einfach nur mal „dran“ und eben gerade mal nicht mit einer Beziehungskomödie am Start. Der erinnerungswürdigste Moment im Film für mich: als Privatlehrerin Sue ihren Arbeitgebern ihre politische Gesinnung offenbart. Dass einem das anfängliche Lachen hier schnell im Halse stecken bleibt, sagt vermutlich mehr über den Film aus als die vorangegangenen 800 Worte.