Filmszene aus Victoria

Victoria

Regie: Sebastian Schipper, Wolfgang Stegemann, Cosima Lohse, Ires Jung, Maria Ochs, Levke Palm
Drehbuch:
Schauspieler*innen: Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski, Burak Yiğit

Kinostart D: (FSK 12)
Kinostart US:
Originaltitel: Victoria
Laufzeit: 2:14 Stunden
Filmposter: Victoria

Filmkritik zu Victoria

Benutzerbild von Phil
5/ 5 von

Der Film startet mit treibenden Beats in einem Berliner Underground Club, das Licht flackert, fast bis zum physischen Schmerz. Und es ist symptomatisch für das, was den Zuschauer die kommenden zwei Stunden erwartet.
Victoria ist ein zweistündiges, bebendes Kunstwerk, pulsierend und lebendig, zugleich aber auch schmerzhaft.
Der Film ist in einem Take gedreht, kein Schnitt, keine Outtakes. So wie das Leben in Berlin keinen Schnitt kennt, keine Outtakes. Es geht immer weiter, findet keine Ruhe, Fehler passieren und müssen im Leben eingebunden werden.

Man könnte den Film vorwerfen, dass er seine Faszination aus der hochgradigen Filmkunst gewinnt: Zwei Stunden in einem Take zu drehen, das klare Vorhaben vor Augen, nicht zu schneiden, das ist ein großes Vorhaben. Und es ist gelungen: Die Schauspieler sind perfekt aufeinander eingespielt, eventuelle Texthänger oder Spontanaktionen werden glatt eingebunden, ohne dass der Zuschauer merkt, dass hier etwas nicht nach Plan lief. Vorteilhaft ist hierbei natürlich, dass es kein klares Drehbuch gab, sondern nur das Rahmenkonstrukt der Geschichte existierte: Jeder Dialog ist zwar durch Proben bekannt, das genaue Wort ist jedoch improvisiert.
Hervorragend wurde auch hinter der Kamera agiert: Es ist ein logistisches Meisterwerk, in einem „Live-Take“ keine Crew, kein Equipment zu sehen. Es bedarf einer maximalen Flexibilität aller Involvierten, dies abgebildet zu bekommen. Besonders hervorheben muss man Kamera und Licht. Der Film startet in der Nacht, geht durch künstliches Treppenhauslicht, entwickelt sich durch die Dämmerung und endet am Tag im dezenten Hotellicht – die verschiedenen Lichtverhältnisse sind eine Herausforderung an sich, hier auch noch die Ausleuchtung der Szenen an sich sicherzustellen, dies auch noch im Dreh-Moment: Das ist eine hervorragende Leistung. Auch die Kamera ist mit der Weite einer Straße und eines Hinterhofs und zugleich der Enge eines Autos und eines Fahrstuhls herausgefordert. Sie schafft es dennoch, jederzeit das erwünschte Gefühl zu erreichen.

Doch die Kunst der Produktion ist nur ein Teil der Faszination. Denn auch die gezeigte und insbesondere die nicht gezeigte Geschichte sind mitreissend. Victoria, die in einer Partynacht einfach neue Leute kennenlernt und mit ihnen weiterfeiern will – jeder kennt diese Partyfreunde aus eigener Erfahrung. Auch die dummen Taten, zu denen man sich hinreissen lässt, der pure Übermut der Nacht: Dadurch wird der Film so unmittelbar, so greifbar für den Zuschauer.
Jede Großstadt pulsiert, so auch Berlin. Und dafür braucht es nicht hämmernden Bass, dafür reicht auch die (übrigens nicht abgesperrte) Friedrichsstraße nachts um halb 5. Die Freiheit und das Treiben der Stadt findet sich auch oder gar besonders in diesen Szenen. Wie sich die Geschichte weiter erzählt, auch dies ist symptomatisch für ein Partywochenende, für das Leben. Was im Film in einem Extrem wie einem Banküberfall endet, finden sich viele Parallelen für den Zuschauer. Dumme Dinge tut jeder und irgendwann kann man nicht mehr zurück. Es geht immer vorwärts – und irgendwie muss man durch. Ein Zurück, einen Schnitt gibt es nicht.

„Victoria“ ist eine Hommage ans Leben und zugleich eine Hommage an die Filmproduktion. „Victoria“ hat viele Fehler, mal sichtbar, mal nicht sichtbar. Der Film zieht den Zuschauer mit in einen Strudel von Menschen und Emotionen, von Bitterkeit bis Himmelhochjauchzen, von Lebensfreude bis Lebensangst.
„Victoria“ ist ein Film, der gerade wegen seiner Ecken und Kanten nicht besser hätte sein können. Geschichte und Produktion gehen Hand in Hand für einen der besten Filme der letzten Jahre.

Victoria im Heimkino

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