Filmszene aus Inherent Vice - Natürliche Mängel

Inherent Vice - Natürliche Mängel

Regie: Paul Thomas Anderson, Adam Somner, Eric Richard Lasko, Jillian Giacomini, Trevor Tavares
Drehbuch:
Schauspieler*innen: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Owen Wilson, Katherine Waterston

Kinostart D: (FSK 16)
Kinostart US: (FSK R)
Originaltitel: Inherent Vice
Laufzeit: 2:28 Stunden
Filmposter: Inherent Vice - Natürliche Mängel

Filmkritik zu Inherent Vice – Natürliche Mängel

Benutzerbild von Lars
3/ 5 von

Auf einer neonleuchtenden Welle aus Marihuana, Muschel-Halsketten und Lamellen-Rollos scheint INHERENT VICE direkt aus den Siebzigern in unsere Kinosäle zu grooven. Und damit ist nicht (nur) gemeint, dass der Film eine Oscar-Nominierung für sein Kostümbild erhalten hat – nein, mehr als das: Er ist ein Film aus den Siebzigern. Oder wäre es zumindest gerne. In strengem 16:9 gehalten, mit seinen bedrückend engen Kompositionen, sieht er aus, als wäre die 35mm-Kopie gerade frisch aus einem Archiv restauriert und wieder ins Kino gebracht worden. Verwaschene Farben, körnige Bildqualität, ungleichmäßige Tonmischung – Anderson gibt sich jede Mühe, schon rein auf der Ebene des Film-Materials die Siebziger zu reanimieren.

Ein Privatdetektiv mit Drogenproblem sucht also seine sexy Ex-Freundin, der er völlig verfallen ist und muss sich dabei mit knallharten Cops und undurchsichtigen Untergrund-Organisationen auseinandersetzen. „Na, das ist doch neo noir!“, ruft der Kenner und denkt an Filme wie TAXI DIVER und CHINATOWN, die in den Siebzigern auf einer Welle ritten, bei der zu streiten wäre, ob sie mit „neo noir“ korrekt betitelt ist. Zumindest bekannt ist sie, und für das Kino der Siebziger nicht ohne Bedeutung. Also auch hier eine weitere Wiederbelebung der neuesten Hipster-Epoche?

Nicht ganz. Denn die Anspielungen, vor denen INHERENT VICE in jeder Sequenz überzulaufen droht, entpuppen sich immer wieder als bloße Hüllen, als falsche Fährten. Doc Sportello ist zwar Privatdetektiv – aber er ist auch tatsächlich Arzt. Bigfoot Bjornsen ist zwar der harte Cop – aber er scheint auch auf irgendeine Weise mit Doc gemeinsam zu arbeiten. Die „Golden Fang“ sind zwar ein asiatisches Heroin-Kartell – aber sie sind auch ein Ärzteverband zur Durchsetzung von Steuerinteressen.

Es wird ein weiterer zentraler Punkt dieses Prinzips dabei schon deutlich: Der Film gibt zwar vor, einer Art noir-Erzählung von verbitterten Detektiven und düsteren Geheimbünden im Nebel zu folgen, aber er treibt dieses Prinzip so auf die Spitze, dass schon nach kurzer Laufzeit selbst dem aufmerksamsten Zuschauer entgehen dürfte, worauf das alles eigentlich hinauslaufen soll und wer nun wen über welche Ecke kennt. Denn darum geht es nicht. Der Film verunklart seine detektivische Spur mit jeder weiteren Figur, die völlig ohne jeden bisherigen Zusammenhang aus dem Dunkel auftaucht und auch noch ihre Finger im Spiel hat. Oder zu haben scheint. So klar wird das nicht immer. (Und so klar wie im vorigen Absatz lassen sich auch die Figuren nie beschreiben.)

INHERENT VICE ist nämlich vor allem die größtmögliche Ansammlung visueller und narrativer Impulse, die diffus auf die Siebziger hindeuten, aber sich schon im nächsten Augenblick wieder selber zerlegen oder von etwas gänzlich anderem abgelöst werden. INHERENT VICE – natürliche Mängel. Der Titel als Programm? Mit größtmöglicher Authentizität auf allen Ebenen, man könnte von ernst genommenem Stil-Naturalismus sprechen, werden die Siebziger in die Gegenwart geholt. Und doch: dieser Naturalismus entzieht sich seinem Prinzip, er ist von Mängeln behaftet: es ist letztlich nur eine ausgehöhlte, leblose und also sterile Illusion der Siebziger, die wir hier präsentiert bekommen.

Übt Anderson damit eine Kritik an den seltsamen Auswüchsen eines Hipstertums der letzten Jahre, das sich vergangene Epochen bloß an der Oberfläche anzueignen versucht? Ist es Kritik an einer uninspirierten Filmlandschaft, die nichts Innovatives mehr, nur noch reinen Stil produziert? In welche Richtung man INHERENT VICE auch lesen möchte, der Film kommt selbst nicht über genau dieses Prinzip hinaus: Eine vergangene, durch Nostalgie veredelte Epoche wird in die Gegenwart gesetzt und verliert auf dem Weg dorthin ihren Kern, ihr Herz. Was bleibt ist reiner Stil. Und davon 148 Minuten lang in jeder Einstellung die größtmögliche Menge.

Inherent Vice - Natürliche Mängel im Heimkino

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