Filmszene aus Der Vorleser

Der Vorleser

Regie: Stephen Daldry, Susanna Lenton, Katri Billard
Drehbuch:
Schauspieler*innen: Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Lena Olin

Kinostart D: (FSK 12)
Kinostart US: (FSK R)
Originaltitel: The Reader
Laufzeit: 2:04 Stunden
Filmposter: Der Vorleser

Filmkritik zu Der Vorleser

Benutzerbild von andreas
4/ 5 von

Der deutsche Schauspieler Michael Degen titelte in seiner (ebenfalls verfilmten) Autobiographie mit „Nicht alle waren Mörder“ und zeigte auf, dass in Zeiten des NS-Regimes das deutsche Volk nicht nur aus sadistischen Judenhassern bestanden hat. Bernhard Schlink zeigt in „Der Vorleser“ einen weiteren Aspekt auf, der in den Geschichtsbüchern und den Erzählungen von all den Gräueltaten leicht in Vergessenheit gerät: nicht alle, die für den Führer gearbeitet haben, taten dies aus voller Überzeugung. Manche waren Opfer ihrer eigenen Lebensumstände.

Sicher: der Werdegang der fiktiven Figur Hanna Schmitz ist schon sehr ungewöhnlich, doch durchaus denkbar. Eine Frau, die mehrfach vor einer Beförderung flüchtet, verwirrt den Zuschauer zunächst. Kann man die Gründe nach und nach schon gut erahnen, wird man spätestens zur Mitte des Films förmlich mit der Nase darauf gestoßen. In der Erzählweise zeigt sich, dass der Film sich sehr nah an das Buch hält. Auch dort offenbart sich die Schwäche der Hanna Schmitz nur nach und nach, wird erst langsam im gesamten Umfang mit all ihren fatalen Folgen deutlich.

Positiv: sowohl Kenner des Buches als auch absolute Neulinge werden diesem Film viel abgewinnen können. Während Lesefaule anfangs einige Zeit an Hannas Geheimnis knabbern können, konnte ich mich von Beginn an auf die schauspielerischen Leistungen der Hauptpersonen konzentrieren. Auch ohne den fehlenden Aha-Effekt habe ich bei der Verfilmung nichts vermisst.

Ob Kate Winslet ausgerechnet für die Rolle der Hanna Schmitz einen Oscar verdient hat (und nicht für eine ihrer bisherigen fünf Nominierungen wie etwa für „Little Children“), lasse ich mal dahin gestellt. Fest steht: sie liefert eine verdammt gute Arbeit ab, verleiht dem kompletten Gefühlsspektrum zwischen Gleichgültigkeit, Liebe, Verzweiflung und Scham ein ausdrucksstarkes Gesicht. Dass David Kross gut schauspielern kann, hat er uns in dem sehr intensiven Jugendgewalt-Drama „Knallhart“ bewiesen; dass er hier auf Augenhöhe mit einer Oscarpreisträgerin spielt, überrascht dann aber doch. Mit Leichtigkeit vermag er den Gefühlsdusel eines Frischverliebten ebenso glaubhaft darzustellen wie den Jura-Studenten, der mit einer Angeklagten ein dunkles Geheimnis teilt und an der unausgesprochenen Last fast mit zu zerbrechen scheint. Dass sich auch internationale Agenten nach dieser Leistung um den 18jährigen Berliner reißen sollen, erscheint somit nicht verwunderlich.

Inhaltlich teilt sich „Der Vorleser“ grob in drei Zeitebenen: Michaels Jugend, die Studienzeit und das Erwachsensein, in dem dann Ralph Fiennes den älteren Michael spielt. Gerade in der Anfangsphase wird die Handlung durch einen hervorragenden Soundtrack gut unterstützt. Vor allem die Szenen, in denen Michael und Hanna erstmals auf Tuchfühlung gehen, sind mit sehr behutsamen Melodien unterlegt, die gut zu den zaghaften Berührungen passen. Klanggewordene Sinnlichkeit.

Es gibt nicht viele Kritikpunkte, die diesen Film von einer Bestnote trennen, und doch: die deutsche Synchronisation ist teilweise schlecht, an einigen Stellen sogar richtig grauenhaft. Bei ein, zwei Szenen wundert man sich wirklich, wie sie durch die Post-Produktion durchgerutscht sind. In der Originalfassung wird der Film sicherlich noch einiges gewinnen. Was auch eine bessere Synchronisation nicht verhindern kann: im letzten Drittel wird aus der bisher gut passenden behutsamen Langsamkeit eine dröge Langatmigkeit. Einige Dialoge hätten sicherlich etwas eingekürzt werden können. Dennoch bleibt dies ein Mangel, der diesen ausgezeichneten Film über Schuld und Sühne um keinen Deut kleiner macht.

Der Vorleser im Heimkino

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